Revitalisierung und Rettungsmaßnahmen

Die flächenmäßig größten Bestände an Streuobstwiesen in ganz Europa liegen hier bei uns in Baden-Württemberg, doch dieser Schatz ist bedroht: Seit 1950 hat die Gesamtfläche der Streuobstwiesen dramatisch abgenommen – von 1.500.000 ha auf 300.000 ha. Damit sind 80 % des Streuobstbestandes verschwunden! Und auch die Art der Unternutzung hat sich geändert. Streuobstwiesen werden kaum noch als Heuwiesen genutzt, sondern in immer kürzeren Abständen gemäht, so dass es zu keiner Blüte und Samenbildung mehr kommt, und sich die Pflanzenzusammensetzung ändert. Nektar- und pollensuchende Insekten, allen voran die Honigbiene, gehen leer aus.

Das Ende der Streuobstwiesen war politisch gewollt: Im Emser Beschluss von 1953 und im Obstbauplan von 1957 wurde festgestellt, dass für Hoch- und Halbstämme kein Platz mehr sei. Bis 1974 wurden Rodungsprämien gezahlt. Zum Glück hat mittlerweile auch auf Landesebene ein Umdenken stattgefunden, und die Landesregierung zahlt nicht für das Roden, sondern für den fachgerechten Schnitt der Streuobstbäume eine Prämie.

Auf den verbliebenen Flächen klafft nun allerdings eine Alterslücke von 30 Jahren: Die Obstbäume sind überaltert und ungepflegt, Neupflanzungen fehlen. Um die verbliebenen Streuobstwiesen zu retten, ist es zunächst wichtig, abgehende Bäume zu stabilisieren, damit sie als Habitat noch möglichst lange erhalten bleiben. Erst ein Hochstamm im Vollertrag ca. ab dem 15. Standjahr bietet entsprechenden Lebensraum für eine Vielzahl von Tieren. Indem man flach stehende und weit ausladende Äste auf steiler und näher am Stamm stehende Verzweigungen ableitet, sorgt man dafür, dass den alten Bäumen keine Starkäste ausbrechen. Das würde zu so großen Wunden führen, dass sie das vorzeitige Ende bedeuten würden. Allerdings schont man Äste, die bereits natürliche Höhlen gebildet haben. Misteln werden konsequent entfernt. Sie stehen nicht und standen nie unter Schutz, sondern schwächen den Baum, massiver Befall führt zum Absterben. Bereits abgestorbene Bäume lässt man wenn möglich stehen, reduziert nur den Feinastbereich (Wind- und Schneebruch), oder belässt zumindest den Stamm: Totholz ist Lebensraum!

Rettung der Obstbäume

Die nächste Generation Obstbäume sollte im Vollertrag stehen, ist aber aufgrund mangelnder Pflege  oft bereits vergreist, d.h. der Neuaustrieb an jungem Holz und Blättern ist geringer als der Fruchtansatz. Diese Bäume erhalten einen Verjüngungsschnitt, der dazu führt, dass sie im kommenden Jahr stark austreiben und durch eine große Blattmasse optimal Energie gewinnen können. Der Fruchtertrag wird geringer ausfallen, die wenigen Früchte aber dafür größer und besser versorgt werden. Auch hier werden selbstverständlich die Misteln entfernt. Große Eingriffe sollten besser auf zwei Jahre verteilt werden. Der Baum sollte nach dem Schnitt einen „aufrechten“ Eindruck machen, weil hängendes, abgetragenes Fruchtholz entfernt wurde und die Leitastverlängerungen steil nach oben zeigen.

Obstbäume, die zumindest gelegentlich geschnitten wurden, werden nur einem Erhaltungsschnitt zugeführt, der dafür sorgt, dass das Gleichgewicht zwischen Wachstum und Ertrag erhalten bleibt. Die Krone wird luftig gestaltet, die Ertragszone nach unten geholt, indem man im oberen Kronenbereich großzügig auslichtet, das Holz im unteren Bereich eher schont („oben licht, unten dicht“).

Wichtig für die dauerhafte Revitalisierung der Streuobstwiesen ist natürlich auch die Neuanpflanzung typischer Hochstämme. Aufgrund der immer größer werdenden landwirtschaftlichen Fahrzeuge sollte die Stammhöhe mindestens zwei Meter betragen. Pflanz- und jährlicher Erziehungsschnitt sowie das Offenhalten der Baumscheibe für die ersten sieben bis zehn Standjahre sind Pflicht, Wühlmauskorb und Verbissschutz in den meisten Gegenden notwendig. Haben sie die Jungendjahre überstanden, sind Obsthochstämme robuste und pflegeleichte Zeitgenossen, die mit einem Erhaltungsschnitt alle zwei bis drei Jahre auskommen. Die Unternutzung sollte eine artenreiche Blütenwiese ermöglichen, also späte erste Mahd (zur Hauptblüte der Margerite) und Entfernen des Schnittgutes (Mulchen düngt die Wiese, der Artenreichtum geht zurück). Anlegen oder Erhalt von Strukturen wie Holzstapel/Totholz, Trockenmauern oder Steinriegel und offene Sandflächen bietet Lebensraum für unzählige Arten.

Auch wenn morgen die Welt noch nicht zugrunde geht, sollten wir doch heute das ein oder andere Apfelbäumchen pflanzen, damit es auch in 80 Jahren noch stattliche, landschaftsprägende Bäume und artenreiche Streuobstwiesen gibt.

(Nicole Pfahl)